Vom Zahnzieher – ein wenig brasilianische Geschichte

Am heutigen Montag war der brasilianische Feiertag namens Tiradentes, der in unserem Hause allerdings irgendwie fast spurlos vorüber gestrichen ist, war doch der große Mann trotzdem im Büro arbeiten und ist heute Abend auch wieder ein bißchen weg geflogen („nur“ innerhalb Brasiliens), der kleine Mann und ich haben das Haus nicht verlassen, weil er noch immer krank ist, oh, ich doch mal kurz zum Milch und Butter einkaufen und so, und F. war heute ganz normal da, weil ich sie wegen Besuchs am Samstag und Krankheit des kleinen Manns darum gebeten hatte (andernfalls wäre sie erst wieder am Mittwoch dagewesen).

Ich denke, es ist nicht unbekannt, dass Brasilien eine portugiesische Kolonie gewesen ist, die Europa vor allem Zucker, Gold und Diamanten, weniger wichtig auch Tabak und Rindfleisch und erst deutlich später den Kaffee gebracht hat.

Der heutige Nationalfeiertag zu Ehren eines gewissen Joaquim José da Silva Xavier, der sich in seinem Leben das Geld mit Zähneziehen verdiente und daher den entsprechenden Namen auf portugiesisch „Tiradentes“ erhielt, hat vor allem etwas mit dem Gold- und Diamentenanbau zu tun, in dem Brasilien im 18. Jahrhundert der weltweit größte Lieferant gewesen ist.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrjunderts leidet das brasilianische Hinterland und allen voran das Gebiet Minas Gerais an nachlassenden Edelmetall- und -Steinfunden, aber weiterhin hohen Abgabenbelastungen an Portugal. Eine Truppe aus den eher reichen Bevölkerungsschichten, die aber keine weiteren Aufstiegschancen z.B. beim Militär hatten, fand sich in der ersten organisierten Widerstandsbewegung des Landes namens Inconfidência Mineirá zusammen um diesen Umstand zu bekämpfen, deren Anführer wurde der oben bereits vorgestellte Tiradentes. Forderungen dieser Gruppe waren die Abschaffung der Sklaverei und als Fernziel nach amerikanischem Vorbild die Unabhängigkeit des Landes zu erklären. Nun, die Gruppe wurde verraten, aber nur ihr Anführer am 21. April 1792 in Rio de Janeiro zum Tode verurteilt.

Dieser Feiertag des ersten brasilianischen Nationalhelden wird übrigens gerne in europäischen Zeittafeln über die Geschichte Brasiliens weggelassen.

Gefeiert wurde er heute vor allem mit Paraden und Reden in der Stadt Ouro Preto (liegt in Minas Gerais), die damals mit am Meisten von dem Gold- und Diamantenabbau profitiert hat und dies immer noch sichtbar in ihrem Stadtbild mit dem barocken Altstadtkern, der sogar zum UNESCO Weltkulturerbe gehört, präsentiert. Einige Politiker nutzten die Gunst der Stunde, um schon mal den nächsten Präsidentschaftswahlkampf (gewählt wird erst 2010!) zu thematisieren und für einen Politiker aus dem Bundesland Minas Gerais „Werbung“ zu machen, der sich wiederum ein wenig ziert. Da wurde in den Pro-Reden daraufhin gewiesen, dass es nach dem letzten Präsidenten aus Minas, Juscelino Kubitscheck (nur ganz kurz ein Stichwort zu ihm, sinst wird der Eintrag zu lang: das ist der, der Brasília, diese Hauptstadt-Retorte, initiiert hat), endlich mal wieder an der Zeit wäre, dass so in der Tradition Tiradentes-Kubitscheck ein Mann aus Minas diesen Posten einnehme. Klare Logik und bombastische politische Inhalte…

Die tatsächliche Unabhängigkeit von Europa sollte Brasilien dann erst einige Jahre später am 12. Oktober 1822 erringen, interessanter Weise nicht mehr im Zusammenhang von materieller Not, sondern mehr im Gegenteil von wieder wachsendem Wohlstand. Dieser Wohlstand lag darin begründet, dass der gesamte portugiesische Hof eine zeitlang von Napoleon nach Brasilien getrieben worden war. Dem portugiesischen Hofstaat samt König scheint es in Rio de Janeiro sehr gut gefallen zu haben, so gut, dass der König erst einige Zeit nach Napoleons Misserfolg und scheint´s nur gezwungen durch drohende Unruhen in Portugal zurückkehrte. Er ließ seinen Sohn im Lande zurück, um das Machtvakuum in Brasilien nicht zu groß werden zu lassen, der nicht lange nach der Abreise seines Vaters, die brasilianische Unabhängigkeit erklärte.

Hauptquellen:

Lonely Planet, Brazil, 2005.

Polyglott, Brasilien, 2005/06.

Peter Waldmann, Unabhängigkeitsbewegung und Bürgerkrieg, in: Informationen zur politischen Bildung, Hg. BpB, Bonn, Neudruck 2000, S.11-13.

Internet:

http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_Brasiliens Infostand der Seite vom 21.04.08

http://de.wikipedia.org/wiki/Tiradentes Infostand der Seite vom 21.04.08

http://www1.folha.uol.com.br/folha/brasil/ult96u394323.shtml (port.) Infostand der Seite vom 21.04.08

2 Gedanken zu „Vom Zahnzieher – ein wenig brasilianische Geschichte

  1. Richtig gut, wie Du Dich mit der Geschichte des Landes auseinander setzt! Danke für diesen Exkurs in die brasilianische Geschichte!

  2. Ach gerne geschehen! Vielleicht merkt man, dass ich Neuere Geschichte und Politikwissenschaft im NF studiert habe. 😉
    Ich interessiere mich auf jeden Fall schon Mal grundsätzlich für Geschichte und Politik und so könnte ich es mir nicht vorstellen, in ein fremdes Land zu gehen und dann über dieses quasi nichts zu wissen.

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